Edito

Europa braucht frische Luft

Der Politikwechsel steht auf der Tagesordnung des Erforderlichen. Massenarbeitslosigkeit, Anstieg der sozialen Armut und wachsende gesellschaftliche Ungleichheit sind alles andere als eine Fatalität.

Sie sind das Resultat einer Politik, die seit Jahren die sozialen Interessen der Bürger Europas regelrecht missachtet. Diese Politik ist im Übrigen verantwortlich für das gefährliche Erstarken von populistischen und radikal rechten Bewegungen, die allesamt nichts mit dem Ziel eines demokratischen und gesellschaftlich fortschrittlichen europäischen Integrationsprozesses am Hut haben.

Die Politik der Austerität, des permanenten Lohnangriffs gegen die Arbeitnehmer Europas und der stückchenweisen Demontage des Sozialstaates hat Europa nicht nur seine Ausstrahlungskraft genommen, sondern treibt Europa mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine anhaltende
wirtschaftliche Stagnation.

250 Milliarden Euro fordert der Europäische Gewerkschaftsbund für ein 10-jähriges europäisches Investitionsprogramm in zukunftsweisende Infrastrukturen, Produktionen und Dienstleistungen. Millionen Arbeitsplätze könnten so abgesichert und geschaffen werden.

Warum geht man nicht auf diese alternativen Vorschläge ein? Dies würde darüber hinaus die europäische Strategie EU 2020 wieder neu beleben. Im Augenblick droht ihr das gleiche Schicksal wie das ihrer Vorgängerin, der sogenannten Lissabonstrategie, nämlich das Verpuffen und Scheitern.

Der OGBL wünscht sich von der neuen luxemburgischen Regierung und den sie tragenden politischen Parteien, dass sie sich offen für einen politischen Kurswechsel in Europa aussprechen. Eine kritische Distanz zu den Brüsseler Austeritätsvorschlägen ist angebracht. Jeder mögliche politische Spielraum, um sich falschen Zielvorgaben zu wiedersetzen muss von der Regierung ausgenutzt werden.

Gelegenheiten hierfür gibt es genügend. Da sind zum einen die aktuellen „Geheimverhandlungen” der Brüsseler Kommission für ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP). Der OGBL spricht sich für den sofortigen Stopp
dieser Verhandlungen aus, weil diese im Begriff sind, einen kapitalistischen Liberalisierungsschock auf die Schiene zu setzen, der Europa in ein soziales, ökologisches und politisches Trümmerfeld zu verwandeln droht. Europa darf seine öffentlichen Dienstleistungen, seine Sozial- und Arbeitsrechte, seine öffentlichen Marktausschreibungen, seine Sicherheits-, Umwelt- und Gesundheitsnormen nicht den Profitinteressen der multiund transnationalen Konzerne unterwerfen!

Als 2008 die kapitalistische Finanz- und Wirtschaftskrise ausbrach, wurde der europäischen Bevölkerung von den Regierenden versprochen, dass die Politik die krisenauslösende Deregulierung der Wirtschafts- und Finanzwelt eindämmen würde. Jetzt gilt es diesbezüglich Farbe zu bekennen! Wenn nicht jetzt, wann denn? Das Primat der Politik und der Demokratie über die Wirtschaft ist die Forderung der Stunde. Die Opposition der europäischen Gewerkschaftsbewegung und von vielen anderen Organisationen der Zivilgesellschaft gegen das TTIP wächst schnell. Die Politik darf diesen Zug jetzt nicht verpassen.

Von der luxemburgischen Regierung erwartet der OGBL aber auch eine kritischere Haltung in Bezug auf die Brüsseler „Reformvorschläge” im Rahmen des sogenannten Europäischen Semesters. Die Brüsseler Messmethoden der Lohnentwicklung in Luxemburg sind unangepasst und produzieren ein falsches Bild der Lohnsituation in Luxemburg. Im Zeitraum 2010-2013 sind die Löhne in Luxemburg real zurückgegangen.

Luxemburg hat keinen Wettbewerbsverlust aufgrund zu hoher Arbeitslöhne! Die sich gebetsmühlenartig wiederholende Aufforderung der Brüsseler Kommission, dass Luxemburg sein System der Lohnfindung, in erster Linie die Indexgesetzgebung, „reformieren” müsse, ist und bleibt ein inakzeptabler Lohnangriff gegen das gesamte luxemburgische Salariat. In den letzten Jahren hat sich die Verteilungsgerechtigkeit zwischen Arbeit und Kapital in die falsche Richtung entwickelt. Ungerechtfertigte Verluste bei der Kaufkraft der Haushalte sowie bei den öffentlichen Steuereinnahmen und bei den Einnahmen unserer Sozialversicherungen sind die überflüssige Konsequenz davon.

Sollte sich die STATEC-Prognose eines Wirtschaftswachstums in Volumen von +3,2% und in Wert von +6,6% für 2014 bewahrheiten, und dies bei einer aktuellen historisch absolut tiefen Inflation von 1,5%, dann gibt es nicht den geringsten Grund für eine weitere Manipulation des Indexgesetzes. Die Antwort der luxemburgischen Politik an die Brüsseler Austeritätswünsche kann nur die folgende sein: wir machen keine Manipulation der Manipulation wegen!