Die Regierung hat beschlossen, die Öffnungszeiten der Geschäfte zu verlängern. Die als „Modernisierung” präsentierte Reform verbirgt in Wirklichkeit einen Frontalangriff auf die Beschäftigten dieses Sektors. Hinter den Schaufenstern, die länger beleuchtet bleiben, verdüstern sich die Leben der Menschen: verschlechterte Gesundheit, gefährdetes Familienleben, zunehmende Prekarität.
3. September: Der Bruch
Der 3. September wird als Wendepunkt in Erinnerung bleiben. An diesem Tag hat die Regierung die Gespräche mit den Gewerkschaften einseitig beendet. Indem sie den Verhandlungsprozess kurzgeschlossen hat, hat sie eine jahrzehntelange luxemburgische Tradition gebrochen: den Sozialdialog.
Von nun an ist die Vorgehensweise klar: Der Premierminister „konsultiert und entscheidet”. Ein Ansatz, der das fragile Gleichgewicht zwischen den Sozialpartnern gefährdet und den sozialen Frieden ernsthaft bedroht. Es handelt sich nicht um eine einfache technische Entscheidung, sondern um einen echten Bruch.
Ein ohnehin schon schwieriger Alltag
Die Arbeit im Einzelhandel war noch nie ein Zuckerschlecken. Man muss in aller Herrgottsfrühe aufstehen, manchmal noch vor Sonnenaufgang, und stundenlang auf den Beinen sein. Man muss mit unregelmäßigen Arbeitszeiten jonglieren, die sich jede Woche ändern, und trotzdem versuchen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Es bedeutet, unregelmäßige Arbeitszeiten zu akzeptieren – früh morgens, spät abends, am Wochenende – für Löhne, die kaum über dem sozialen Mindestlohn liegen.
Zu diesem organisatorischen Druck kommt noch physischer und psychischer Druck hinzu. Tragen, einräumen, kassieren, unter allen Umständen lächeln, Müdigkeit und Stress ertragen. Diese Bedingungen hinterlassen Spuren: chronische Schmerzen, Muskel-Skelett-Erkrankungen, Erschöpfung, Burn-out … Im Handel macht die Arbeit krank. Diese strapaziösen Arbeitsbedingungen haben direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten. Und doch hören viele nicht auf zu arbeiten, um sich zu erholen, sondern arbeiten trotz Krankheit weiter.
Krank, aber trotzdem zur Arbeit
Die Arbeitgeber weisen gerne mit dem Finger auf den angeblichen „Absenteismus“. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Laut der Arbeitnehmerkammer arbeitet ein Angestellter im Handel durchschnittlich 13 Tage im Jahr, obwohl er krank ist, gegenüber nur 5 Tagen Abwesenheit. Mit anderen Worten: Die Menschen kommen viel häufiger krank zur Arbeit, als dass sie sich krankschreiben lassen.
Im Handel erreicht dieser Trend seinen Höhepunkt: An bis zu 80% der Tage, an denen sie sich krank fühlen, erscheinen die Arbeitnehmer trotzdem an ihrem Arbeitsplatz. Dieses Phänomen hat einen Namen: Präsentismus. Und seine Folgen sind schwerwiegend: Verschlimmerung von Krankheiten, Ansteckung von Kollegen, erhöhte Müdigkeit und letztendlich langfristige Arbeitsausfälle.
Warum diese Entscheidung? Weil es keine ist. Die Arbeitnehmer wissen, dass eine Abwesenheit sie teuer zu stehen kommen kann: Sanktionen, Einkommensverluste, sogar Entlassung. Krank zur Arbeit zu gehen wird so zu einer stillschweigenden Verpflichtung, die von Angst genährt wird. Eine doppelte Strafe: körperlich leiden und dann wegen seiner Schwäche stigmatisiert werden.
Eine Reform, die zum Äußersten treibt
In diesem ohnehin schon angespannten Umfeld wirkt die Verlängerung der Öffnungszeiten wie Öl ins Feuer. Ursprünglich plante die Regierung eine Öffnungszeit von 5 bis 22 Uhr. Nach den Protesten vom 28. Juni wurde das Projekt leicht reduziert: 5 bis 21 Uhr. Für die Arbeitnehmer ändert sich dadurch jedoch nichts Wesentliches. Um 5 Uhr morgens zu beginnen oder nach 21 Uhr zu enden, bringt den Lebensrhythmus und die Familienorganisation völlig durcheinander.
Und damit nicht genug. Der Entwurf sieht unter bestimmten Bedingungen auch die Möglichkeit vor, rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche zu öffnen. Das ist die berühmte Taktik des “Fuss in der Tür”: Ist die Idee einmal eingeführt, ist die Ausweitung auf alle Bereiche fast unvermeidlich. Wir wissen: Jede Reform nagt ein bisschen mehr, niemals in die andere Richtung.
Und als ob das noch nicht genug wäre, sind die Beschäftigten im Handel nicht nur Opfer der neuen Regeln: Sie wurden auch als Verhandlungsmasse in politischen Diskussionen benutzt.
Als Geiseln genommene Arbeitnehmer
Das Syndikat Handel, Garagen & Horeca des OGBL prangert eine besonders beschämende Situation an: Die Beschäftigten im Handel wurden in den Regierungsgesprächen als Verhandlungsmasse benutzt.
Während andere wichtige Themen wie Renten und Verhandlungsrechte auf dem Tisch lagen, wurden die Beschäftigten im Handel als Anpassungsvariable benutzt und geopfert, um anderswo einen Kompromiss durchzusetzen. Ihre Lebenszeit, ihre Rechte und ihre Würde wurden in politischen Verhandlungen instrumentalisiert. Für uns ist klar: Die Beschäftigten wurden als Geiseln genommen.
Ein bereits schwieriger Sektor
Diese Reform trifft einen Sektor, in dem prekäre Arbeitsverhältnisse bereits weit verbreitet sind:
Diese Profile sind keine Randerscheinung: Sie spiegeln die Realität des Handels wider. Durch die Auferlegung unmöglicher Bedingungen besteht die Gefahr, dass eine große Zahl von Arbeitnehmern gezwungen wird, den Sektor zu verlassen, was die prekäre Lage noch verschärft.
Eine Mobilisierung, die sich bereits ausgezahlt hat
Es wäre unfair, nicht daran zu erinnern: Ohne die historische Demonstration vom 28. Juni, an der 25.000 Menschen teilnahmen, wäre die Lage noch schlimmer. Diese Machtdemonstration zwang die Regierung, bestimmte Punkte zu überdenken. Das ist der Beweis dafür, dass sich der Kampf lohnt. Aber dieser Erfolg darf nicht über das Wesentliche hinwegtäuschen: Die Reform bleibt eine erhebliche Verschlechterung der Rechte und Arbeitsbedingungen.
Der Kampf geht weiter
Die Regierung hat nur unter Druck nachgegeben. Es gibt keine Garantie dafür, dass sie morgen nicht wieder zum Angriff übergeht. Deshalb rufen wir dazu auf, organisiert, mobilisiert und handlungsbereit zu bleiben, sei es auf nationaler Ebene, auf Branchenebene oder direkt in den Unternehmen.
Es gilt auch, an eine einfache Wahrheit zu erinnern: Der Sozialdialog ist keine Einbahnstraße. Wenn eine der Parteien ihn abbricht, hört er auf zu existieren. Mit ihrer Entscheidung, ihre Entscheidungen einseitig durchzusetzen, hat die Regierung diesen Dialog beendet. Sie muss nun die Verantwortung dafür übernehmen: Von nun an müssen wir nicht mehr so tun, als würden wir alleine diskutieren.
Die Beschäftigten im Handel sind – wie alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Luxemburg – keine Anpassungsvariablen. Ihre Gesundheit, ihre Würde und ihre Lebenszeit sind mehr wert als eine zusätzliche Öffnungsstunde. Der 28. Juni hat unsere kollektive Stärke gezeigt. Was nun folgt, hängt von unserer Fähigkeit ab, zusammenzuhalten und unserer Stimme Gehör zu verschaffen.
Dieser Artikel wurde im Aktuell veröffentlicht (4/2025)
Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.
Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.
Wenn du diesen Cookie deaktivierst, können wir die Einstellungen nicht speichern. Dies bedeutet, dass du jedes Mal, wenn du diese Website besuchst, die Cookies erneut aktivieren oder deaktivieren musst.
Diese Website verwendet Google Analytics, um anonyme Informationen wie die Anzahl der Besucher der Website und die beliebtesten Seiten zu sammeln.
Diesen Cookie aktiviert zu lassen, hilft uns, unsere Website zu verbessern.
Bitte aktiviere zuerst die unbedingt notwendigen Cookies, damit wir deine Einstellungen speichern können!