Krise und Austeritätspolitik

Wir brauchen dringend einen Kurswechsel in Europa

Jean-Claude Reding, président de l’OGBL
Jean-Claude Reding, Präsident des OGBL

Und wieder haben die Helden der Finanzwelt zugeschlagen. Zwei Milliarden oder mehr hat die J P Morgan Bank bei Spekulationsgeschäften verloren. Der Vorsitzende dieser Bank ist ein erklärter Gegner derjenigen US-Politiker, die versuchen  wieder Ordnung in die Finanzwelt zu bringen, die versuchen Regeln einzuführen, die verhindern sollen, dass Banken durch Spekulationsgeschäfte wirtschaftlichen Schaden anrichten. Die Leidtragenden dieses noch immer weitergehenden Kasinospiels des Finanzkapitals sind in doppelter Hinsicht die einfachen Lohnabhängigen und Rentner. Sie drohen ihre Ersparnisse zu verlieren, sie riskieren durch die Auswirkungen dieses kriminellen Fehlverhaltens der Finanzwelt auf die übrigen Wirtschaftsbereiche ihren Arbeitsplatz zu verlieren, sie werden Opfer der Austeritätspolitik, die die Regierungen in allzu vielen Ländern durchführen, um das Porzellan, das die Finanzkapitäne der multinationalen Finanzwelt zerschlagen haben, wieder mühsam zu kitten.

Die Schuldenkrise hat viel, sehr viel mit der Raffgier, der Spekulationssucht der Finanzwelt zu tun. Auch in Luxemburg hat die gestiegene Staatsschuld viel mit den Rettungsaktionen für den Finanzsektor zu tun (Aufkauf von BGL-Aktien, Staatsgarantien  für die Dexia  und Kauf von BIL-Aktien …). Nicht vergessen sollten wir aber auch die Steuersenkungen, die Subventionen und sonstigen Unterstützungen für die anderen Wirtschaftsbereiche.

Seit 2009 hat die Gewerkschaftsbewegung gefordert, dass die öffentliche Hand, die Politik, regulierend in die Finanzwelt eingreift, um zu verhindern, dass immer neue Krisen entstehen und dass die Kosten von den Arbeitnehmern getragen werden.

Lohnmäßigung und Lohnabbau, Sozialabbau, Schwächung des Arbeitsrechts und der Gewerkschaften verschärfen die Krise; sie sind keine Lösung.

„Wir wollen nicht für eure Krise zahlen“ war auch das Motto der großen Gewerkschaftsdemonstration von Mai 2009 in Luxemburg. Dieses Motto leitet seitdem und wird auch in Zukunft die Aktion des OGBL bestimmen.

Deshalb lehnen wir die seit 2010 geführte europäische Austeritätspolitik ab, auch seine luxemburgische Variante (Indexmanipulation, Manipulation des Rentenajustements, Kindergeldkürzungen, Kürzungen der Entschädigung beim Elternurlaub, Verschlechterung der Krankenkassenleistungen, schleichende Steuererhöhungen zu Lasten der mittleren und kleinen Einkommensbezieher usw.).

Sicher, die luxemburgische Variante der europäischen Austeritätspolitik ist im Vergleich zu dem was in anderen Ländern abläuft noch relativ „soft“. Dies ist nicht zuletzt ein Verdienst des andauernden Widerstands des OGBL und der anderen Gewerkschaften.
Grundsätzlich geht aber auch die luxemburgische Politik in die falsche Richtung.
Die europäische Austeritätspolitik verhindert keine Neuauflage  der Finanzkrise und sie wird die Schuldenkrise nicht lösen, weil sie zu einem wirtschaftlichen Rückgang führt. Die europäische Austeritätspolitik bedroht unsere Sozialsysteme, führt zu mehr sozialer Ungleichheit, zu Armut und Arbeitslosigkeit. Die tagtägliche Erfahrung aber auch die erschreckenden Berichte der Internationalen Arbeitsorganisation, der OECD und der europäischen Institutionen über die Arbeitslosigkeit, die Zunahme des Armutsrisikos und der sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zeigen uns das.

Deshalb begrüßen wir, dass auf Grund der rezenten Wahlen aber auch der politischen Krisen in vielen Ländern endlich in Europa eine politische Debatte über diese Politik, die ihren politischen Ausdruck in dem neuen Vertrag über die wirtschaftliche und budgetäre Politik in der Eurozone finden wird, stattfindet. Der Vertrag  muss geändert werden. Die EU und die Eurozone müssen Initiativen ergreifen, um die wirtschaftlichen Aktivitäten anzukurbeln. Dies muss gezielt geschehen, in Bereichen und in Aktivitäten, die mit den umwelt- und beschäftigungspolitischen Zielen der Union vereinbar sind. Der Vertrag braucht einen verbindlichen sozialpolitischen Rahmen.

Die Arbeitnehmergrundrechte müssen geschützt werden. Die soziale Absicherung, die in den Gründerstaaten der EU nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurden, muss erhalten bleiben und weiter entwickelt werden. All dies ist in den vorliegenden Texten nicht gewährleistet. Im Gegenteil, der Abbau unseres Sozialstaats und unserer Rechte als Arbeitnehmer wird weitergetrieben. Zudem werden weitere Souveränitätsrechte abgetreten. Dies ist an sich nicht falsch und schlecht, müsste aber breit diskutiert werden und ist auch nur vertretbar, wenn die EU demokratischer funktioniert, wenn neue demokratische Einwirkungsmöglichkeiten auf allen Ebenen für die Bürger geschaffen werden.

Bislang ist dies in Luxemburg kein Thema. Bislang haben unseres Wissens bloß die Linken und die Grünen gesagt, dass sie dem neuen Vertrag in dieser Form nicht zustimmen werden. Wie steht es mit den anderen Parteien? Warum wird in dieser wichtigen Frage keine große öffentliche Debatte geführt?