CETA und TTIP: Gefährlich für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat!

Stellungnahme der Luxemburger
Anti-TTIP-Plattform zu den Schiedsgerichten und zum Investorenschutz

 April 2016

Action Solidarité Tiers Monde ; Aleba ; Bio-Lëtzebuerg – Vereenegung fir
Bio-Landwirtschaft Lëtzebuerg Asbl; Caritas Luxembourg ; Cercle de coopération
des ONG de développement ; CGFP ; Fairtrade Luxembourg ; FGFC ; FNCTTFEL ;
Greenpeace Luxembourg ; Initiativ Liewensufank ; LCGB ; Lëtzebuerger Jongbaueren
a Jongwënzer Asbl ; Mouvement écologique ; natur&ëmwelt a.s.b.l ; OGBL ; Syprolux ; Stop TAFTA Luxembourg ; Union luxembourgeoise des consommateurs ;
Union Syndicale Fédérale.


CETA und TTIP:
Gefährlich für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat!

Derzeit verhandelt die EU vor allem zwei besonders relevante Freihandelsabkommen: CETA (das Abkommen zwischen Europa und Kanada) sowie TTIP (jenes zwischen Europa und den USA). Während TTIP in aller Munde ist, wird etwas weniger vom CETA-Abkommen gesprochen. Dies zu Unrecht. Denn das CETA-Abkommen ist die „kleine Schwester” des TTIP-Abkommens.

Zudem liegen die endgültigen Verhandlungsresultate von CETA bereits auf dem Tisch. Es ist davon auszugehen, dass das CETA-Abkommen noch in diesem Jahr (evtl. sogar vor den Sommerferien) im Europaparlament zur Abstimmung gebracht wird und auch den Parlamenten der Nationalstaaten zur Entscheidung vorgelegt wird. TTIP seinerseits soll gemäß Befürwortern wenn möglich noch unter der Obama-Regierung verabschiedet werden.

Es liegt auf der Hand, dass CETA und TTIP nicht in allen Bereichen die gleichen Bestimmungen enthalten, da die Voraussetzungen z.T. andere sind (andere Handelsströme usw.).

Und doch: zentrale Aspekte sind identisch.

Und dabei geht es natürlich gerade um jene, die von fundamentaler Natur für die gesamte Ausrichtung der Abkommen sind:

Die Form der Schiedsgerichte und der damit verbundene Investorenschutz! Gerade diese Bestimmungen riskieren unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat auf schier unzulässige Art und Weise auszuhebeln! So wie sie definiert sind, werden Rechte von Konzernen schlichtweg über jene der Allgemeinheit gestellt, die Möglichkeiten von Parlamenten und Nationalstaaten auf unzulässige Art und Weise beschnitten und vor allem unser Rechtssystem z.T. auf den Kopf gestellt!

Die Luxemburger Anti-TTIP-Plattform ist generell der Überzeugung, dass CETA und TTIP abzulehnen sind, da Sozial-, Umwelt-, Verbraucherrechte u.a. in Frage gestellt werden. Folgende Stellungnahme zeigt aber auf, dass die Ausrichtung der Schiedsgerichte sowie des Investorenschutzes derart problematisch ist, dass die Freihandelsabkommen bereits alleine aufgrund dieser Bestimmungen nicht ratifiziert werden dürften.

 

Zum Hintergrund:

Da die Schiedsgerichte seit längerem sehr kritisch in der Öffentlichkeit diskutiert und kommentiert werden (u.a. sprachen sich 97% der Teilnehmenden im Rahmen einer öffentlichen Konsultation der EU gegen die Schiedsgerichte aus) und besonders im Fokus der Debatten stehen, hat die EU-Kommission im Herbst 2015 neue Vorschläge betreffend ihre Ausrichtung im TTIP-Abkommen vorgelegt.

Gesprochen wird aufgrund dieser Neuerungen seit einigen Monaten im Rahmen vom TTIP deshalb nicht mehr von Investor-Staat-Klagerechten („ISDS“ (Investor-state dispute settlement)) sondern von einem System der Investitionsgerichte („ICS“, Investment Court System).

Lange Zeit war strittig, ob diese Neuerungen auch für das CETA-Abkommen gelten sollen oder nicht. Kanada wolle, so offizielle Aussagen, die Diskussionen über den CETA-Vertragstext nicht „neu eröffnen“, insofern bliebe es auch bei den Investor-Staat-Klagerechten (ISDS). Mitte Februar 2016 wurde dann aber entschieden, dass im CETA-Abkommen im Wesentlichen das gleiche Modell von „Schiedsgerichten“ übernommen werden soll wie im TTIP-Abkommen das System der Investitionsgerichte (ICS).

Die Abänderungen werden seitens der Kommission als große demokratische Errungenschaft dargestellt. Sicherlich, das reformierte Modell ist etwas besser als das ursprüngliche. Allerdings kann man trotzdem eigentlich nur von einem „neuen Namen“ oder von kosmetischen Verbesserungen sprechen. Die grundsätzlichen Probleme bleiben bestehen!

Wie auf EU-Ebene engagierte Nicht-Regierungsorganisationen es formulierten: „das geplante „neue“ ICS bdeutet nichts anderes als ein scheinbar von den Toten auferstandenes „ISDS-System“ mit anderem Namen. ICS ist der ISDS-Zombie.“

In der Tat stellt auch das System der Investitionsgerichte (ICS) eine fundamentale Infragestellung unserer demokratischen Errungenschaften dar!

Übrigens haben auch der deutsche Richterbund sowie die „European Association of Judges“ äußerst kritische Stellungnahmen zum Thema verfasst, aus denen im Folgenden mehrfach zitiert wird.

1. Unzulässige Sonderrechte für ausländische Investoren gegenüber Nationalstaaten – Investorenschutz vor Rechten der Allgemeinheit

Fakt: Den Konzernen wird ein breit gefasster Schutz ihrer Investitionen gegenüber Nationalstaaten zuerkannt. Parallel werden ihnen aber keine weiteren Pflichten auferlegt (z.B. betreffend Sozial- oder Umweltauflagen). Dabei ist der Begriff der Investition gemäß CETA und TTIP sehr breit gefasst: er umfasst klassische Direktinvestitionen (z.B. Produktionsstätte, Terrainaufkauf) aber auch Finanzinvestitionen (z.B. Aktien).

Die Konzerne erhalten das Recht, Nationalstaaten aufgrund einer „indirekten Enteignung“ (also wegen des Verlustes von Gewinnen oder aufgrund „entgangener Gewinne“) zu verklagen. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn ein Mitgliedsstaat Bestimmungen im Interesse der Allgemeinheit erlässt (seien es Verbote von Substanzen, das Nicht-Genehmigen bestimmter Anlagen u.a.m.) und diese dazu führen, dass Investoren dadurch keinen oder nur noch geringere Gewinne erwirtschaften können. Angeführt sei z.B. das Beispiel von Keystone, bei dem ein Gaslieferant die amerikanische Regierung verklagt, da diese eine Leitung aufgrund von Klima- und Umweltschutzkriterien ablehnte. Oder dass Warnhinweise auf Zigarettenverpackungen aus Gesundheitsgründen den Verkauf mindern. Es ist dann an den Staaten nachzuweisen, dass ihre Bestimmungen nicht „übertrieben“, sondern „legitim“ und „notwendig“ sind. Staaten laufen hier Gefahr, Millionen- oder gar Milliardenstrafen zahlen zu müssen.

Analyse: Während in den Nationalstaaten allein der Respekt von EU- und Nationalrecht vor staatlichen Gerichten eingeklagt werden kann, sollen hier die Rechte von Investoren weit darüber hinausgehen.

Investoren erhalten des Weiteren das Recht, Klage einzureichen, um aufzuwerfen, inwiefern die Bestimmungen der Staaten auch „legitim“ und „notwendig“ waren („right to regulate“ der Staaten). Den Schiedsgerichten obliegt es dann zu entscheiden, ob Unternehmensgewinne oder öffentliches Interesse wichtiger sind.

Dabei riskieren Rechte von Investoren über jene von Nationalstaaten gestellt zu werden. Mit diesem äußerst weitreichenden Investitionsschutz riskiert demnach die Allgemeinheit zum Verlierer zu werden, die Politik von Staaten in zentralen Bereichen (Sozialstandards, Gesundheits- und Umweltschutz) in Frage gestellt zu werden, Rechte von Konzernen über jene des Allgemeinwohls gestellt zu werden.

Erheblicher Ausbau der klageberechtigten Firmen!Von Befürwortern der Schiedsgerichte wird angeführt, es gäbe bereits heute schon derartige Schiedsgerichte… Fakt ist jedoch, dass durch CETA und TTIP nunmehr weitaus mehr Konzernen Sonderklagerechte zugestanden werden würden, als dies bis dato der Fall ist. Denn bisher haben nur sehr wenige Mitgliedsstaaten ein derartiges Abkommen mit Amerika unterschrieben, und nicht die gesamte EU. Trotzdem wurden bereits 30 Milliarden Schadensersatzforderungen gestellt. Man mag sich nicht vorstellen, welche Ausmaße dies annehmen würde, wenn alle Firmen in der gesamten EU dazu berechtigt wären.

Wird TTIP mit dem geplanten Investorenschutz abgeschlossen, steigen Haftungs- und finanzielle Risiken für die EU-Mitgliedstaaten exorbitant – weit über das Niveau bestehender Verträge hinaus: So könnten durch TTIP 19 weitere EU-Mitgliedstaaten direkt von US-Investoren verklagt werden (zusätzlich zu 9 Mitgliedstaaten, die bereits Investitionsverträge mit den USA abgeschlossen haben). Weitere 99% der US-Investitionen in der EU würden durch ein TTIP mit Investitionsschutz abgedeckt (durch bestehende Verträge sind derzeit gerade einmal 1% abgedeckt). Zusätzliche 47.000 Unternehmen hätten plötzlich die Möglichkeit, direkt gegen EU-Mitgliedstaaten zu klagen (heute sind es erst 4.500). Rund 900 neue US-Konzernklagen gegen EU-Mitgliedstaaten könnten die Folgen sein (derzeit gibt es lediglich 9 bekannte Klagefälle auf Basis bestehender Verträge). (*)

2.     Gefahr, dass Regierungen aus Angst vor Klagen auf wichtige gesetzliche Bestimmungen verzichten („regulatory chill“-Effekt)

Fakt: Wenn Nationalstaaten riskieren, aufgrund ihrer Entscheidungen mit Millionen- oder gar Milliardenklagen von Investoren belangt zu werden, so kann dies zu einem sogenannten „regulatory chill“-Effekt führen. D.h., dass Nationalstaaten davor zurückschrecken, Gesetze, Vorschriften oder Initiativen im Sinne der Allgemeinheit zu ergreifen, da sie derartige Klagen und vor allem Schadensersatzzahlungen vermeiden möchten. So sollen bereits Kommunen davor zurückgeschreckt sein, Dienstleistungen wieder zu kommunalisieren.

Analyse: Somit besteht die Gefahr, dass gewählte politische Vertretungen der BürgerInnen – Regierungen und Parlamente – wichtige politische Entscheidungen und Initiativen im Sinne der Allgemeinheit von vorneherein nicht mehr treffen, hinauszögern bzw. halbherzig angehen, da sie derartige Klagen und evtl. Schadenszahlungen vermeiden möchten. Die Kernkompetenz und zentrale Verantwortung von Nationalstaaten wird demnach in ihrer Essenz geschwächt, oder sogar in Frage gestellt! Dies steht im Widerspruch zu demokratischen Entscheidungsprozessen.

3.     Unvertretbare Infragestellung von nationalen Gerichten durch Sonder-/ Schiedsgerichte!

Fakt: Aber nicht nur, dass Firmen Millionenklagen gegenüber Nationalstaaten einreichen können. Dies soll zudem vor „nicht-nationalstaatlichen“ Gerichten erfolgen (die Namensänderung von „Schiedsgerichten“ in „Investitionsgerichte“ ist reine Makulatur und ändert nichts am Grundprinzip, dass nicht mehr nationalstaatliche, sondern Sondergerichte eingesetzt werden). Ausländische Konzerne müssen dabei nicht vorher den nationalen Rechtsweg ausgeschöpft haben, sie können nationale Gerichte schlichtweg umgehen.

Analyse: Die Einrichtung dieser Sondergerichte würde eine äußerst substantielle Infragestellung unseres Rechtssystems bedeuten! Dabei besteht de facto absolut keine Notwendigkeit für die Schaffung von derartigen Sondergerichten!

Diese mangelnde Notwendigkeit für die Errichtung eines Sondergerichtes wird durch die tagtägliche Praxis der Unternehmen klar belegt. Es ist nicht bekannt, dass amerikanische oder kanadische Unternehmen sich geweigert hätten, Investitionen in EU-Staaten vorzunehmen, mit dem Argument das bestehende Rechtssystem wäre zu schwach oder ungenügend, um ihre Interessen zu schützen. Weder die USA noch Kanada haben auf das TTIP warten müssen, um Hunderte von Milliarden EUR in Europa zu investieren. Diese gehen unvermindert weiter. Dasselbe gilt für Investierungen von europäischen Unternehmen in den USA oder Kanada.

Auch der deutsche Richterbund spricht sich deshalb deutlich gegen derartige Sondergerichte aus. Zitat aus deren Stellungnahme: „Der Deutsche Richterbund sieht keine Notwendigkeit für die Errichtung eines Sondergerichtes für Investoren. Bei den Mitgliedstaaten handelt es sich um Rechtsstaaten, welche allen Rechtsuchenden den Zugang zum Recht über die staatliche Gerichtsbarkeit eröffnen und garantieren. Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, den Zugang zum Recht für alle sicherzustellen und durch die entsprechende Ausstattung der Gerichte dafür zu sorgen, dass der Zugang auch für ausländische Investoren gangbar ist. Die Einrichtung eines ICS ist daher der falsche Weg, Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Der Deutsche Richterbund fordert den deutschen und den europäischen Gesetzgeber des Weiteren auf, den Rückgriff auf Schiedsverfahren im Bereich des internationalen Investorenschutzes weitgehend einzudämmen.“

4.     Unzulässige Bevorteilung ausländischer gegenüber inländischen Investoren

Fakt: Hinzu kommt: nur ausländische Investoren sollen über diese Sonderrechte verfügen, um u.a. „entgangene Gewinne“ vor dem Investitionsgericht einzuklagen. Einheimischen Firmen wird diese Möglichkeit nicht zuerkannt, dementsprechend können sie nicht gegen eine Entscheidung ihres Nationalstaates vorgehen.

Analyse: Diese Bevorzugung von ausländischen Investoren gegenüber nationalen Konzernen entbehrt jeder nachvollziehbaren Argumentation und stellt eine absolut unzulässige Verzerrung der Rechte der unterschiedlichen Akteure dar. Zudem stellt sich die Frage, ob hier nicht eine unzulässige Diskriminierung erfolgt.

5.     Keine Rechte für Öffentlichkeit, Betroffene und Staaten

Fakt: Die Sondergerichte sind, wie sich so mancher ausdrückt, eine „Einbahnstraße“. Denn es sind nur Konzerne, denen die Möglichkeit zugestanden werden soll, ihr Recht vor einem internationalen Schiedsgericht einzuklagen. Umgekehrt können Konzerne jedoch nicht von Bürgern verklagt werden, wenn diese ihre Rechte durch einen Konzern verletzt sehen.
Diese „Einbahnstraße“ trifft ebenfalls die Staaten. Diese haben nicht die Möglichkeit, ausländische Konzerne vor einem Schiedsgericht zu verklagen, wenn sie die Umwelt, die öffentliche Gesundheit oder das öffentliche Eigentum beschädigt haben oder, ganz allgemein, die Bestimmungen in einem Vertrag nicht eingehalten haben. Somit können Staaten nur verlieren, aber nichts zu gewinnen.

Analyse: Hier würde ein unzulässiges Rechtsgefälle zwischen betroffenen Bürgern, Staaten und Konzernen entstehen, das unserem Rechtsstaat nicht würdig wäre.

6.     Sondergerichte im Widerspruch zu EU-Recht!

Fakt: Die Interpretation von EU-Recht bzw. Anfechtungen von EU-Entscheidungen fallen derzeit in die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs. Nunmehr könnten aber EU-Entscheidungen außerhalb des EU-Gerichtshofs angefochten werden. Laut EU-Recht ist eine derartige Übertragung von Kompetenzen nur unter sehr strengen Bedingungen gestattet, die hier jedoch nicht gegeben sind.

Analyse: Somit würden die Nationalstaaten und die EU fest in der EU verankerte Rechte/ Zuständigkeiten an Sondergerichte verlagern, die außerhalb des gerichtlichen und institutionellen Rahmens der EU angesiedelt sind. Oder vereinfacht ausgedrückt: Kompetenzen/ Verantwortungsbereiche der EU werden an Dritte, nicht legitimierte Gremien ohne rechtsstaatliche Kontrolle übergeben. Diese Vorgehensweise ist aller Voraussicht nach nicht konform zu EU-Recht.

Auch hier spricht der deutsche Richterbund eine deutliche Sprache: „Der Deutsche Richterbund hat erhebliche Zweifel an der Kompetenz der Europäischen Union für die Einsetzung eines Investitionsgerichts. Die Errichtung des ICS würde die Europäische Union und die Mitgliedstaaten ver-pflichten, sich mit Abschluss der Vereinbarung der Gerichtsbarkeit des ICS und der Anwendung einer vom Kläger bestimmten internationalen Verfahrensordnung (Art. 6 Nr. 5, 2; Art. 7 Nr.1) zu unterwerfen. Die Entscheidungen des ICS sind bindend (Art. 30 Nr. 1).

Durch das ICS würde nicht nur die Rechtssetzungsbefugnis der Union und der Mitgliedstaaten eingeschränkt, auch das etablierte Gerichtssystem innerhalb der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union würde geändert werden. Für eine solche Änderung durch die Union gibt es nach Ansicht des Deutschen Richterbundes keine Rechtsgrundlage. Wie der Europäische Gerichtshof in seinem Gutachten 1/ 09 vom 8. März 2011 zur Errichtung eines Europäischen Patentgerichts festgestellt hat, besitzt die Union „ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe gewährleisten soll (Rdnr. 70)“. Analog dem geplanten Patentgericht, welches damals zur Begutachtung anstand, wäre das ICS ein Gericht, welches „außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union“ stehen würde (Rdnr. 71). Es wäre, wie das Patentgericht, „eine Einrichtung, die kraft Völkerrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet“ wäre. Daher wäre eine das Unionsrecht verletzende Entscheidung des ICS „weder Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens“ noch würde sie zu „irgendeiner vermögensrechtlichen Haftung eines oder mehrerer Mitgliedstaaten führen“ können (Rdnr. 88).

Daher würde das ICS den „Gerichten der Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts sowie dem Gerichtshof seine Zuständigkeit, auf die von diesen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu antworten, nehmen und damit die Zuständigkeiten verfälschen, die die Verträge den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten zuweisen und die für die Wahrung der Natur des Unionsrechts wesentlich sind“ (Rdnr. 89).“

Oder aber, wie die Vereinigung des „European Association of Judges“ es formuliert: Legal competence is needed to introduce a new court into this well-established judicial system within the European Union and its member states. The EAJ is in doubt that such a competence does exist“ (…).

„The EAJ does not see the necessity for such a court system. The judicial system of the European Union and its member states is well established and able to cope with claims of an investor in an effective, independent and fair way. The European Commission should promote the national systems for investor’s claims instead of trying to impose on the Union and the member states a jurisdiction not bound outside the decisions both of the ECJ and the supreme courts of the member states.“

7.     Unabhängigkeit der Richter bei Investitionsgerichten nicht ausreichend gegeben!

Fakt: Auch wenn in der Definition des Investitionsgerichts (ICS) gegenüber dem ISDS einige Verbesserungen vorgenommen wurden, was die Ernennung der Richter betrifft: es bleiben weiterhin äußerst gravierende Mankos bestehen. So müssen die ernannten Richter zwar über die notwendige Qualifikation eines anerkannten Richters oder Juristen verfügen, sie müssen aber nicht als solcher amtieren, d.h. sie können durchaus ggf. zeitnah in einem ähnlich gelagerten Streitfall für einen Kläger gearbeitet haben u.a.m. Außerdem erhalten sie kein festes Gehalt, keine feste Anstellung, sondern sind von Tageshonoraren abhängig, was deren Unabhängigkeit doch zumindest reduziert. Ethische Grundregeln betreffend deren Unabhängigkeit, wie sie die Magna Charta der Richter von 2010 definiert, sind nicht zufriedenstellend definiert und entsprechend nicht ausreichend sichergestellt.

Analyse: Sie sind demnach keineswegs als unabhängig anzusehen. Dabei ist gerade die Unabhängigkeit des Richters – und das Vertrauen in diese – die Basis unseres Rechtssystems schlechthin.

Vor allem in diesem Punkt spricht der deutsche Richterbund eine klare Sprache: „Weder das vorgesehene Verfahren zur Ernennung der Richter des ICS noch deren Stellung genügen den internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit von Gerichten. Das ICS erscheint vor diesem Hintergrund nicht als internationales Gericht, sondern vielmehr als ständiges Schiedsgericht.

Die Magna Charta der Richter des CCJE vom 17. November 2010 (CCJE (2010/3)) fordert die gesetzlich gesicherte Unabhängigkeit der Richter in fachlicher und finanzieller Hinsicht (Ziffer 3). Entscheidungen über die Auswahl, Ernennung und Laufbahn müssen auf objektiven Kriterien beruhen und von der Stelle getroffen werden, die die Unabhängigkeit gewährleisten soll (Ziffer 5). Beide Kriterien werden beim ICS nicht erfüllt. Bei den Entscheidungen, welche vom ICS getroffen werden müssten, spielen nicht nur Fragen des Zivilrechts, sondern auch des Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts eine erhebliche Rolle. Eine Auswahl der Richter des ICS aus dem Kreis von Experten des internationalen öffentlichen Rechts und des internationalen Investitionsrechts mit Erfahrungen in der Beilegung internationaler Handelsstreitigkeiten (Art. 9 Nr. 4) verkürzt den Kreis der Kandidaten erheblich und lässt die unabdingbare Expertise im jeweils betroffenen nationalen Fachrecht außen vor. Die Richterschaft wird auf den Kreis von Personen beschränkt, die bisher schon weitgehend die internationale Schiedsgerichtsbarkeit besetzt haben. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass das Auswahlverfahren noch nicht näher skizziert ist. Es wird jedoch von der Unabhängigkeit des Auswahlkomitees und dessen Ferne von der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit abhängen, in welchem Umfang eine Bestenauslese nationaler Juristen mit Fachkenntnissen der betroffenen Rechtsgebiete sichergestellt wird. Das ist bisher zumindest nicht sichergestellt.
Auch die Dauer der Amtszeit von sechs Jahren mit der Möglichkeit einer weiteren Amtsperiode, ein Grundgehalt („retainer fee“) von ca. 2.000 € monatlich für Richter der ersten Instanz und 7.000 € für die des Appellationsgerichts sowie Aufwandsentschädigungen für den Fall des tatsächlichen Einsatzes (Art. 9, Nr. 12 und Art. 10, Nr. 12) lassen Zweifel daran aufkommen, ob die Kriterien für die fachliche und finanzielle Unabhängigkeit von Richtern eines internationalen Gerichts erfüllt werden.

Auch die „European Association of Judges“ sieht große Probleme in der Zusammensetzung der Schiedsgerichte: The Magna Carta points out, that the independence of judges shall be statutory, functional and financial (sect 3). Decisions on selection, nomination and career shall be based on objective criteria and taken by the body in charge of guaranteeing independence (sect 5).

Neither the appointment, nor the term of office nor the retainer-fee meet with this requirements. The committee which is to appoint the judges has not been shaped. However, it is impossible for such a committee to have an oversight on the judges and jurists in all member states of the treaty which might be qualified to be appointed. The treaty keeps quiet about who is going to present suitable candidates to the committee, and or the procedure to be applied. The committee therefore might be a last safeguard against unsuitable appointments, but is no guarantee for an independent appointment in line with sect. 3 of the Magna Carta.

Besides, the proposed text asks for experience in international investment law.

However, most of the disputes might arise on matters of national or European law from all scopes of material law and will not have much to do with „investment law“.

Therefore, it is doubtful if the criteria for selecting the judges for the ICS are chosen well.

The term of office of six years is much too short to guarantee the independence of the judges appointed.

As the judges do not have to expect a proper salary, their financial independence is in danger. Judges should be appointed by the relevant national mechanisms and have security of tenure.“

 

Schlussfolgerungen, die für sich sprechen:

„Association Européenne des Magistrats – Groupe régional de l’Union Internationale des magistrats“ / „European Association of Judges – Regional Group of the International Association of Judges“ (Paris, November 9th, 2015)

The proposal of “new Investment Court System”, as announced by the European Commission on September 16th 2015 is regarded by the European Association of Judges (EAJ) with serious reservations. The EAJ asks the European Parliament and the Council to scrutinize the proposal very carefully questions weather European Union really needs a completely new Court system to deal with the rights of investors and if so weather the prosed“ new, modernized system of investment courts” (Commissioner Malmström) really is the best system we can get.

(…) The European Union and its member states have a well-functioning judicial system which is capable of protecting the rights of an investor in all areas of law. It should be central to an international treaty on trade and investment, to apply this system to investors as the central body to safeguards its rights.”

Deutscher Richterbund:

„Der Deutsche Richterbund lehnt die von der EU-Kommission vorgeschlagene Einführung eines Investitionsgerichts im Rahmen der Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) ab. Der DRB sieht weder eine Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit für ein solches Gericht.

Das mit dem Vorschlag für ein Internationales Investitionsgericht offensichtlich verbundene Verständnis, die Gerichte der Mitgliedstaaten der Union könnten ausländischen Investoren keinen effektiven Rechtsschutz gewähren, entbehrt sachlicher Feststellungen. Sollten hier Schwächen von den Verhandlungspartnern für ein TTIP in einzelnen EU-Mitgliedstaaten erkannt worden sein, so müssten sie gegenüber dem nationalen Gesetzgeber offengelegt und klar definiert werden. Es wäre dann Aufgabe des Gesetzgebers und der für die Justiz Verantwortlichen, im bewährten System des nationalen und europäischen Rechtsschutzes Abhilfe zu schaffen. Nur so kann der Rechtsgewährungsanspruch, der jedem Rechtsuchenden in Deutschland und der Europäischen Union zusteht, sichergestellt werden. Die Schaffung von Sondergerichten für einzelne Gruppen von Rechtsuchenden ist der falsche Weg.“

Organisationen der Europäischen Zivilgesellschaft (*):

„Durch ICS würden tausende Unternehmen ermächtigt, unser Rechtssystem zu umgehen und Regierungen vor parallelen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie ihre Profitmöglichkeiten durch Gesetze und Regulierungen eingeschränkt sehen. Durch den Vorschlag könnten Steuergelder in Milliardenhöhe in die Kassen großer Konzerne fließen und Politik zum Schutz von Mensch und Umwelt untergraben werden. Zudem besteht die Gefahr, dass die EU-Mitgliedsstaaten keine Chance mehr hätten, jemals wieder aus dem ungerechten (…)-System auszusteigen. Sie wären ihm ewig ausgesetzt.“ (aus: „Totgesagte leben länger – der ISDS-Zombie, Wie die EU-Kommission gefährliche Konzernklagerechte weiterleben lässt.“)

(*) Veröffentlicht von: Corporate Europe Observatory (CEO), Association Internationale de Techniciens, Experts et

Chercheurs (AITEC), Attac Österreich, Campact, ClientEarth, Ecologistas en acción, Forum Umwelt & Entwicklung,

Instytut Globalnej Odpowiedzialności (IGO), PowerShift, Seattle to Brussels Network (S2B), Traidcraft,

Transnational Institute (TNI), Umanotera, Védegylet, Vrijschrift, War on Want, 11.11.11.

(**) Der Deutsche Richterbund ist mit rund 16.000 Mitgliedern in 25 Landes-und Fachverbänden (bei bundesweit 25.000 Richtern und Staatsanwälten insgesamt) der mit Abstand größte Berufsverband der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Deutschland.

Forderungen der Luxemburger Anti-TTIP-Plattform

Mit der Einführung der Investitionsgerichte sowohl in CETA- wie im TTIP-Freihandelsabkommen würde/n

  • das Recht von Nationalstaaten im Sinne des allgemeinen Interesses zu agieren in ihrer Substanz beschnitten;
  • grundsätzliche Entscheidungen, inwiefern ein Unternehmensgewinn oder öffentliches Interesse höher zu werten sind, in eine Paralleljustiz ausgelagert;
  • die nationalen Gerichte in ihren Kompetenzen wesentlich beschnitten;
  • die Zuständigkeiten der EU-Gerichtsbarkeit, die auf den europäischen Verträge basieren, in Frage gestellt;
  • die Rechte ausländischer Konzerne über jene von inländischen Firmen und Konsumenten gesetzt;
  • aller Voraussicht nach auch EU-Recht verletzt;
  • möglicherweise europäische Sozial-und Umweltstandards ausgehebelt und verbesserte erst gar nicht eingeführt.

Dabei gilt es die Bedeutung von CETA erneut hervorzuheben: falls CETA verabschiedet werden würde, würde dies den Zugang amerikanischer Firmen zum EU-Markt mit den genannten Klagerechten usw. bereits sichern, da diese dann einfach in Kanada einen Betriebssitz ansiedeln würden.

Die Anti-TTIP Plattform ist deshalb der Überzeugung, dass die Schiedsgerichte sowie der Investorenschutz ausschlaggebende zusätzliche Argumente sind, für ein Ablehnen des CETA- und des TTIP-Abkommens seitens der Luxemburger Regierung, des Parlaments sowie der politischen Parteien!