Schule stärken statt teilen

Das SEW/OGBL teilt die im von Michèle Gantenbeins Artikel „Wie Claude Meisch das Schulsystem zerlegt“ (Luxemburger Wort, 6.10.2025) formulierte Analyse und sieht darin eine treffende Beschreibung der aktuellen Fehlentwicklungen im luxemburgischen Schulsystem.

Seit Jahren weist das SEW/OGBL auf die zunehmende Zersplitterung des Schulsystems hin. Unter dem Deckmantel der Bildungsgerechtigkeit und dem Versprechen „für jedes Kind eine passende Schule“ werden immer neue Europaschulen eröffnet – während im öffentlichen, einheimischen System die überfälligen Reformen ausbleiben.

Was als Bereicherung des Bildungsangebots dargestellt wird, bedeutet zugleich Verlust an Bildungshoheit, weil internationale Programme staatliche Steuerung begrenzen – und birgt in der Praxis das Risiko wachsender Spaltung.

Gegenwärtig zeigen verfügbare Statistiken, dass öffentliche Europaschulen überdurchschnittlich viele Kinder aus sozioökonomisch stärkeren Haushalten anziehen. Dadurch entstehen für eine begrenzte Gruppe besonders attraktive Lernbedingungen, während für viele Schülerinnen und Schüler die bestehenden, oft unzulänglichen Rahmenbedingungen im öffentlichen System unverändert bleiben. Die Verzweigung des Schulsystems erhöht das Risiko sozialer und sprachlicher Segregation – und verschärft damit Bildungsungleichheit, statt ihr entgegenzuwirken.

Besonders kritisch sieht das SEW/OGBL die bildungspolitische Entwicklung im Bereich der Sprachen. Wie Michèle Gantenbein treffend analysiert, wird die schrittweise Verschiebung des sprachlichen Gleichgewichts zugunsten des Französischen – von der Früherziehung bis in die Sekundarstufe – ohne ausreichende gesellschaftliche, aber auch pädagogische Debatte vorangetrieben. Statt kontroverser Debatten dominieren Hochglanzkommunikation und Imagekampagnen – Kritik wird durch PR-Inszenierungen wegmoderiert.

Das gilt auch für das Projekt „ALPHA- zesumme wuessen“. Obwohl das Pilotprojekt noch nicht abschließend evaluiert werden kann, soll es bereits ab dem nächsten Schuljahr generalisiert werden. Eine breite gesellschaftliche wie pädagogische Debatte darüber, ob Gesellschaft und Schulgemeinschaft bereit sind, die mit einer Alphabetisierung in zwei Sprachen verbundenen Umwälzungen im Schulsystem zu tragen, hat bislang nicht stattgefunden. Kritische Rückmeldungen aus den Schulen finden bislang wenig Gehör; Sorgen und Ängste werden häufig relativiert – das mindert Akzeptanz.

Erschwerend kommt hinzu, dass Reformen nicht als Gesamtvorhaben vorgestellt werden, sondern schrittweise und schleichend eingeführt werden. Fehlt aber dieses Gesamtbild oder wird es nicht transparent und klar vermittelt – und bleibt die kontroverse, pädagogisch fundierte Debatte aus – entstehen beim Lehrpersonal Skepsis und Verunsicherung. Die Salami-Taktik führt zudem dazu, dass Vorhaben selten zu Ende gedacht sind; am Ende müssen Lehrkräfte die aus dieser ‚navigation à vue‘ entstandenen Unzulänglichkeiten im Schulalltag kompensieren.

Es entsteht eine paradoxe Schieflage: je weniger Lehrkräfte mitreden und mitgestalten können – und je weniger ihre pädagogische Expertise in politischen Entscheidungen zählt – desto größer werden Verantwortung, Erwartungsdruck und Rechenschaftspflicht. Der Lehrer wird vom reflektiertem und mitgestaltendem Praktiker zum Umsetzer vorgegebener Programme degradiert. Kritik ist selten erwünscht, gefragt sind Erfindergeist und blinder Enthusiasmus bei der Umsetzung ministerieller Vorgaben.

Gleichzeitig gibt es Beispiele für den richtigen Weg: In diesem Schuljahr hat das SEW/OGBL mit dem Ministerium eine Unterredung zur „Voie de Préparation“ geführt. Die aktuellen Überlegungen wurden in Entwurfsform vorgestellt und ergebnisoffen mit uns diskutiert; unsere Einwände wurden ernst genommen und sollen in einer zweiten Phase berücksichtigt werden. Dieses Vorgehen ist aus unserer Sicht vorbildlich – und sollte künftig die Regel sein.

Vor diesem Hintergrund begrüßt das SEW/OGBL, dass die aktuelle Berichterstattung endlich eine breite öffentliche Debatte über die Richtung der Bildungspolitik anstößt. Jetzt gilt es, daraus Konsequenzen zu ziehen: eine offene und transparente Kommunikation, frühzeitige Einbindung der Lehrkräfte und ein kohärentes Gesamtkonzept, das der Realität in den Schulen Rechnung trägt.

Mitgeteilt vom OGBL-Syndikat Erziehung und Wissenschaft (SEW)
am 10. Oktober 2025