Es muss festgestellt werden, dass zwischen der der Besteuerung der Löhne und jener der Kapitalerträge eine große Diskrepanz besteht. Sehr häufig unterliegen diese Kapitalerträge bzw. Sachbezüge, die bestimmte Arbeitnehmergruppen erhalten, einer bevorzugten steuerlichen Behandlung gegenüber „normalen“ Gehältern.
In der Tat werden nicht alle Einkünfte vom Gesetz gleich behandelt. Bei gleicher Höhe der Einkünfte werden Kapitalerträge (viel) niedriger besteuert als Erwerbseinkommen, was zu einer Verringerung der Progression der Steuertabelle führt. Letztendlich stellt dies faktisch eine bevorzugte Behandlung der wohlhabendsten Personen dar.
Selbst die OECD (eine Organisation, für die wirtschaftliche Aspekte über sozialen stehen und die somit sicherlich nicht gewerkschaftsfreundlich ist) hebt dies hervor: „Ärmere Steuerzahler neigen dazu, einen größeren Anteil ihres Vermögens auf relativ hoch besteuerten Bankkonten zu halten als wohlhabende Steuerzahler, die ihre Ersparnisse tendenziell eher in Investmentfonds, Pensionsfonds und Aktien investieren, die oft einer niedrigeren Besteuerung unterliegen.“
Sehen wir uns einige dieser Vorteile für die Begünstigten von Kapitalerträgen einmal näher an. Zunächst einmal sind Dividenden zu 50 % steuerbefreit (bei einer zusätzlichen Steuerbefreiung von 1.500 Euro für Kapitalerträge), während die Gehälter grundsätzlich vollumfänglich steuerpflichtig sind.
Somit muss ein Arbeitnehmer mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 50.000 Euro Steuern auf die Gesamtheit seines Einkommens zahlen, was sich in Klasse 1 auf eine Steuer (einschließlich Solidaritätssteuer) von 9.743 Euro beläuft. Eine Person, die Dividenden in Höhe von 50.000 Euro bezieht, muss nur einen Betrag von 23.500 Euro versteuern; die zu zahlende Steuer beläuft sich somit auf 1.451 Euro, ist also 6,7 Mal niedriger. Für gleiches Einkommen, gleiche Steuer: Das ist hier eindeutig nicht der Fall.
Es sei auch daran erinnert, dass die Vermögenssteuer für natürliche Personen im Jahr 2006 abgeschafft wurde, obwohl sie nur 0,5 % betragen hatte und die Berechnung der Bemessungsgrundlage darüber hinaus zahlreichen Abschlägen unterlag.
Was die Besteuerung von Gewinnen betrifft, sind ebenfalls Ungerechtigkeiten festzustellen. Zwar sollte man bestrebt sein, die Steuerbefreiung im Falle der Veräußerung des Eigenheims oder den Freibetrag für das Eigenheim beizubehalten, doch könnten andere Arten unter die Lupe genommen werden: Die erzielten Gewinne aus der Veräußerung einer erheblichen Beteiligung an einer Gesellschaft (über 10 %) werden mit einem geringeren Satz besteuert oder sind steuerbefreit, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind. Dasselbe gilt im Falle der Veräußerung einer Immobilie, die über zwei Jahre gehalten wurde.
Der erzielte Gewinn aus dem Verkauf von Aktien nach einer Haltedauer von mehr als sechs Monaten ist von der Steuer ausgenommen.
Im Klartext: Wenn ich heute Aktien einer Gesellschaft für einen Preis von 20.000 Euro kaufe und ich sie in über sechs Monaten für 40.000 Euro verkaufe, ist mein Gewinn von 20.000 Euro steuerfrei. Wenn ich hingegen innerhalb desselben Zeitraums ein Gehalt von 20.000 Euro verdiene, ist dieses steuerpflichtig.
Stock-Options stellen unter steuerlichen Gesichtspunkten eine Sachleistung dar, die in bestimmten Fällen nur mit 30 % des Wertes des Wertpapiers zum Zeitpunkt der Gewährung der Option bewertet wird. Darüber hinaus kann der Gewinn aus dieser Option in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Ausübung der Option und des Wiederverkaufs der Titel in bestimmten Fällen steuerfrei sein.
Dies bedeutet konkret, dass ich, wenn ich ein regelmäßiges Gehalt von 5.000 Euro beziehe, einen Betrag von 5.000 Euro versteuern muss. Wenn ich Stock-Options mit einem Wert von 5.000 Euro halte, muss ich gegebenenfalls nur einen Betrag von 1.500 Euro versteuern. Auch hier gilt definitiv nicht, dass gleiches Einkommen gleich besteuert wird!
Degression der globalen Steuerquote?
Degression ist das Gegenteil von Progression. Während die Steuertabelle für die Besteuerung der Einkünfte eine gewisse Progression aufweist, kann deren Existenz bezweifelt werden, wenn außer Lohnbezügen auch die sonstigen Einkünfte und sonstigen Abzüge einbezogen werden, insbesondere die Sozialabgaben und die Mehrwertsteuer.
Die Arbeitnehmerkammer (CSL) hat in ihrem Panorama social 2012 gezeigt, dass die Steuerquote je nach Struktur der Haushaltseinkommen tatsächlich degressiv werden kann, d. h. dass die einkommensstarken Haushalte insgesamt eine unter dem Mittelstand liegende Steuerquote aufweisen. Diese Degression resultiert insbesondere aus drei Faktoren: einem bezüglich des Gesamteinkommens größeren Anteil an indirekten Steuern bei geringen und mittleren Einkommen, der Deckelung bestimmter Sozialabgaben auf das Fünffache des Mindestlohns und der geringeren Besteuerung von Kapitalerträgen im Vergleich zu Gehältern.
Wenngleich diese theoretische Rechnung der Arbeitnehmerkammer aufgrund fehlender Transparenz bei den luxemburgischen Steuerdaten nicht auf einer konkreten Analyse tatsächlicher Daten beruht, kann sie angesichts der von den Wirtschaftswissenschaftlern Landais, Piketty und Saez durchgeführten empirischen Arbeiten für Frankreich dennoch mit der Realität übereinstimmen.9 Ihre Arbeiten weisen die Degression der globalen Steuerquote der Haushalte ab einer bestimmten Schwelle eindeutig nach, wobei die einkommensstärksten Haushalte in Prozent ihres Einkommens sogar weniger Steuern (und sonstige Abgaben) als die einkommensschwächeren zahlen!
Für Landais, Piketty und Saez ist die Regression das Zeichen für das Scheitern eines Steuersystems. „Eine solche Realität ist eine potenzielle Gefahr für den sozialen Zusammenhalt des Landes und macht die Akzeptanz gemeinsamer Anstrengungen und Projekte in jedem Fall schwierig. Eine Rechtfertigung dieser Regression mit der Begründung, dass sie nur eine sehr kleine Minderheit der Bevölkerung betrifft, führt am Problem vorbei. Bereits 1789 wurde teilweise argumentiert, dass die Aristokratie kaum mehr als 1 % der Bevölkerung ausmachte und der Neid des Volkes gegenüber diesen natürlichen Eliten nicht angefochten werden sollte. Das Erfordernis der Gleichheit und Steuergerechtigkeit war jedoch notwendig und unumgänglich. Das gilt auch heute noch, und es ist selbstverständlich.“
Um eine sachliche, transparente und demokratische Debatte über eine strukturelle und gerechte Steuerreform in Luxemburg führen zu können, müssen die für eine solche Debatte erforderlichen Daten — natürlich anonym — öffentlich verfügbar gemacht werden.