Das Wort des Präsidenten

Mindestlohn, Lohn und Gute Arbeit

André Roeltgen, Président de l‘OGBL
André Roeltgen, Präsident des OGBL

Im September 2014 startete eine Journalistin von RTL Radio Lëtzebuerg einen interessanten Selbstversuch. Sie „lebte“ einen Monat lang mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Die tagtägliche Schilderung ihrer persönlichen Erfahrung untermauerte das, was in einer weniger spektakulären Art und Weise die offiziellen Statistiken belegen: wer in Luxemburg vom Mindestlohn leben muss, bewegt sich sehr nahe an der offiziellen Armutsgrenze. Der gesetzliche Mindestlohn liegt in Luxemburg nur 8% über diesem Grenzwert, in Belgien sind es 41% und in Frankreich 50%.

Und auch ein weiterer Vergleich ist nicht weniger alarmierend. Luxemburg ist mit 10,1% europäischer Spitzenreiter bei den sogenannten „working poor“, d.h. bei den Arbeitnehmern, die dem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Ebenfalls beim Verhältnis Mindestlohn/Durchschnittslohn fällt in Luxemburg der Mindestlohn im Vergleich mit unseren Nachbarländern stark ab.

Der OGBL fordert, dass der gesetzliche Mindestlohn erhöht wird. Das Gegenargument ist bekannt: in absoluten Zahlen ausgedrückt ist der gesetzliche Mindestlohn Luxemburgs mit 1.922,96 € der höchste in Europa. Ist demnach die Forderung des OGBL unrealistisch und wirklichkeitsfremd? Würde die Erhöhung des Mindestlohns der wirtschaftlichen Situation Luxemburgs Schaden zufügen? Die Antwort auf diese Fragen kann mit Nein beantwortet werden. Die betrieblichen Lohnkosten in betroffenen Wirtschaftsbereichen, wie beispielsweise im Handel, liegen in Luxemburg unter denen Deutschlands, Frankreichs und Belgien. Darüber hinaus darf man die positiven Auswirkungen auf die wirtschaftliche Binnennachfrage nicht außeracht lassen. Und ein Plus an sozialer Gerechtigkeit und an sozialer Kohäsion würde Luxemburg zurzeit sehr gut tun!

Die luxemburgische Regierung ist im Begriff einen folgenschweren Fehler zu machen. In ihrem Gesetzesvorhaben über die berufliche Ausbildung hat sie einen Artikel eingeschmuggelt, der eine inakzeptable Manipulation beim gesetzlichen Mindestlohn vorsieht. Die derzeitige Gesetzeslage sieht vor, dass die Inhaber eines Berufsbefähigungszeugnisses (CCP-Certificat de Capacité Professionnelle) nach zwei Jahren Berufsausübung in den Genuss des qualifizierten Mindestlohns kommen müssen. In Zukunft soll dies erst nach sieben Jahren der Fall sein. Neben der ungerechtfertigten Abwertung dieser beruflichen Qualifikation käme dies für die betroffenen Jugendlichen einer Lohnkürzung von sage und schreibe 23.000 € insgesamt bzw. von 4.615 € pro Jahr gleich. Der OGBL verlangt die ersatzlose Streichung dieses Artikels! Qualifizierte Arbeit muss bezahlt werden. Die Regierungsabsicht steht im Widerspruch sowohl zur notwendigen allgemeinen Aufwertung des gesetzlichen Mindestlohns als auch zur Bekämpfung der prekären Arbeit bei Jugendlichen.

Die wirtschaftliche Situation Luxemburgs ist insgesamt positiv und in vielen Betrieben und Betriebsbereichen sind Verteilungsspielräume für positive Lohnabschlüsse vorhanden. Im Rahmen seiner kontinuierlichen Tarifpolitik wird der OGBL ebenfalls auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Betriebswelt drängen. In den kommenden Monaten wird dabei der gesetzlichen und kollektivvertraglichen Verbesserung der Arbeitszeitbedingungen ein besonderer Stellenwert zukommen.
In den Diskussionen mit der Unternehmerseite und der Regierung wird der OGBL eine negative Flexibilisierung der Arbeitszeiten, d.h. eine gegen die Arbeitszeitinteressen des Salariats strikt ablehnen. Die Harmonisierung von Arbeit und privater Lebensgestaltung begrenzt sich nämlich keinesfalls auf die Reform des Elternurlaubs, sondern erfordert neue Arbeitszeitrechte und verbesserte Arbeitszeitschutzbestimmungen für Mann und Frau im Allgemeinen. Gute Arbeit ist das Gebot der Stunde. Dabei ist es wünschenswert solche Rahmenbedingungen zu diskutieren, die in erster Linie die Bedeutung des luxemburgischen Kollektivvertragswesens untermauern und dessen prioritäre Hebelwirkung fördern, um die betriebs- und bereichsspezifischen Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitsbedingungen im Interesse aller auszuschöpfen.

André Roeltgen, Präsident des OGBL