Mathias Hinterscheid – ein Leben für die Gewerkschaftsbewegung

Mathias_HinterscheidKurz vor Jahresende 2016, dem Jahr in dem der OGBL hundert Jahre freie Gewerkschaften in Luxemburg feierte, erfuhren wir die traurige Nachricht, dass der frühere Verbandspräsident Mathias Hinterscheid nach langer Krankheit verstorben ist.

Mathias, den Gewerkschaftsmilitanten besser bekannt als „Mett“ Hinterscheid, wurde am 26. Januar 1931 in Düdelingen als Sohn einer Arbeiterfamilie geboren. Nach der Grundschule in Düdelingen besuchte Mett Hinterscheid zunächst das hauptstädtische Athenäum, bevor er eine Hüttenschlosserlehre im Werk ARBED-Düdelingen und an der Gewerbeschule Esch/Alzette begann.

Bereits zu Beginn seiner Tätigkeit als Hüttenschlosser, im Alter von 15 Jahren, schloss er sich im Oktober 1946 dem Letzeburger Arbechterverband (LAV) an; dementsprechend feierte er 2016 70 Jahre ununterbrochene Verbandszugehörigkeit.

Er ist zunächst in der LAJ, der Jugendorganisation des Verbands aktiv, ab 1955 auch im Vorstand der Düdelinger Lokalsektion. 1956 wird er für den LAV in den Vorstand der ARBED-Krankenkasse und der Alters- und Invalidenversicherungsanstalt der ARBED in Düdelingen gewählt.

Als Anfang 1958 zwei Sekretärsposten beim LAV ausgeschrieben werden, bewirbt sich Hinterscheid und wird als bester Kandidat zurückbehalten. Er tritt den Posten des hauptamtlichen Sekretärs für Jugendfragen, gewerkschaftliche Bildung und Propaganda (d.h. Verantwortlicher für die Presseabteilung) zum 15. Februar 1958 an und übt diese Funktion während der nächsten fünf Jahre aus.

Nachdem zwischen dem LAV und der FNCTTFEL Anfang 1963 vereinbart worden war, dass der LAV einen hauptamtlichen Sekretär freistellen soll, um die Koordination des gemeinsamen CGT-Sekretariats zu übernehmen (dessen Fortbestehen zu diesem Zeitpunkt in Frage gestellt war), beschließt der LAV-Hauptvorstand am 28. Januar 1963 einstimmig, dass dies Mathias Hinterscheid sein soll. Hinterscheid wird dann auch am 10. Februar 1963 von der CGT-Vorständekonferenz zum neuen Generalsekretär der CGT bestimmt.

Im Mai 1970 wird Mathias Hinterscheid dann einstimmig zum Präsidenten des LAV gewählt, nachdem Benny Berg aufgrund des vom XXIII. LAV-Kongress vom 9.-11. Mai 1970 in Differdingen getroffenen Beschlusses der Unvereinbarkeit zwischen einem nationalen politischen Mandat und dem Posten des LAV-Präsidenten und Generalsekretärs sein Amt als Präsident aufgegeben hatte. Im November 1970 wird er ebenfalls zum Präsidenten der CGT gewählt, nachdem Roby Meis den freigewordenen Posten des hauptamtlichen Generalsekretärs übernommen hat.

In die Präsidentschaft Mathias Hinterscheids fallen die Gründung des nationalen Gewerkschaftsrats aus LAV, FEP und LCGB, sowie eine umfassende Statutenreform 1972. Vor allem aber bleiben die Großdemonstration und der nationale Streiktag vom 9. Oktober 1973 ein prägendes Ereignis seiner Zeit an der Spitze des LAV. Zusammen mit dem LAV-Generalsekretär Antoine Weiss spricht Hinterscheid am 9. Oktober vor nicht weniger als 32.000 Teilnehmern auf dem hauptstädtischen Knuedler.

Im Juni 1976 gibt Hinterscheid die Präsidentschaft des LAV an Antoine Weiss und die Präsidentschaft der CGT an John Castegnaro ab, um fortan auf europäischer Ebene tätig zu sein. Er wird in London zum Generalsekretär des erst drei Jahre zuvor gegründeten Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) gewählt, eine Funktion, die er während nicht weniger als 15 Jahren, von 1976 bis 1991 ausübt. Bis heute ist die Mandatsdauer Hinterscheids an der Spitze des EGB unerreicht.

Als Hauptverantwortlicher des EGB-Sekretariats in Brüssel stabilisiert Hinterscheid die noch junge Struktur, die einige Startschwierigkeiten kannte. In seiner Mandatszeit nimmt der EGB stark an Mitgliedern und angeschlossenen Gewerkschaften zu.

Vor dem politischen Hintergrund des Aufkommens des Neoliberalismus und in einer wirtschaftlichen Lage, die noch von den Auswirkungen der Öl- und Stahlkrise der 1970er geprägt ist, verteidigt der EGB unter Hinterscheid den Aufbau eines sozialen Europas, tritt ein für Arbeitszeitverkürzungen und Vollbeschäftigung und fordert die Grundlagen für ein europäisches Kollektivvertragssystem und für branchenübergreifende Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern zu legen. Die Vorstellungen des EGB werden in einem von Hinterscheid zusammengestellten Sammelband mit dem Titel Vivre et travailler autrement en Europe : bilan et perspectives d’un espace social européen dargelegt, das 1987 mit einem Vorwort des Kommissionspräsidenten Jacques Delors erscheint.

Unter dem Vorsitz von Delors beteiligt sich Hinterscheid 1985 an den sogenannten Gesprächen von „Val Duchesse“, bei denen die Grundlagen für eine Erneuerung des Sozialdialogs auf europäischer Ebene gelegt werden.

1991, anlässlich des 7. EGB-Kongresses in Luxemburg, gibt Mathias Hinterscheid sein Amt als EGB-Generalsekretär auf und tritt in den wohlverdienten Ruhestand.

Nichtsdestotrotz bleibt er in den darauffolgenden Jahren als aktiver Beobachter der luxemburgischen und europäischen Politik und Gewerkschaftsszene aktiv. Von 1998 bis 2008 gehört er ebenfalls dem Verwaltungsrat der luxemburgischen Zentralbank an.

Mathias Hinterscheids Sohn Henri Hinterscheid war übrigens von 1979 bis 1989 erster Präsident des neu gegründeten OGBL-Berufssyndikats „Gesundheit und Sozialwesen“.

Mit Mathias Hinterscheid verliert die Gewerkschaftsbewegung eine markante Persönlichkeit, die wesentlich dazu beigetragen hat, die freien Gewerkschaften in einer Zeit entscheidender gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Umbrüche neu aufzustellen und damit die Grundlagen für die Entwicklung vom LAV hin zum OGBL geschaffen hat. Auch sein Engagement für die europäische Gewerkschaftsbewegung bleibt prägend bis in die heutige Zeit.

Mathias Hinterscheid wird uns allen als herausragende Figur der freien Gewerkschaftsbewegung in Erinnerung bleiben.

Der trauernden Familie unser tiefes Beileid.

Die Exekutive des OGBL.