Die Prioritäten der europäischen Gewerkschafts-bewegung im Rahmen der Luxemburger EU-Präsidentschaft

visite_segol_1Die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), Bernadette Ségol, wurde in Begleitung einer OGBL-Delegation am Dienstag, dem 14. Juli vom luxemburgischen Premierminister Xavier Bettel, der zurzeit den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehat, empfangen. Bei diesem Treffen ging es darum, den Zeitplan der EU für die kommenden sechs Monate zu sondieren und dabei die Prioritäten der europäischen Gewerkschaftsbewegung festzulegen. Hier die wichtigsten Themen, die bei diesem Treffen behandelt wurden.

Das soziale Europa

Der EGB hat den Gegensatz hervorgehoben zwischen dem Willen der Luxemburger Präsidentschaft, ein Europa mit einem „sozialen Triple A“ einzuführen einerseits und andrerseits der makroökonomischen Politik, die von der EU und der Europäischen Kommission gepriesen wird, und die weiterhin Druck auf die Löhne und die Arbeitsplätze ausübt, indem eine immer größere Flexibilität gefordert wird. Der EGB stellt fest, dass das soziale Europa, das sowohl von der Europäischen Kommission als auch von der Luxemburger Präsidentschaft erwünscht ist, in Wirklichkeit durch zwei total verschiedene Vorgehensweisen angegangen wird, mit der Durchführung von Politiken die das Finanzielle, und nicht den europäischen Bürger, an die erste Stelle setzt. Der EGB hat ebenfalls hervorgehoben, dass es zurzeit keinen Dialog mit der Gewerkschaftsbewegung bezüglich des sozialen Europas gibt. Darüber hinaus wird diese Idee sehr stark von den europäischen Bürgern angezweifelt, und zwar in dem Maße, dass zurzeit eher von einem unsozialen Europa die Rede ist.

Die Situation in Griechenland

Wenn das schlimmste Szenario auch verhindert werden konnte (d.h. ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone), so ist der Preis, den das griechische Volk zu zahlen hat, jedoch sehr hoch. Der EGB hat diese Bedenken dem Premierminister mitgeteilt und ihn gefragt, wer denn im Endeffekt bezahlen würde: höchstwahrscheinlich das griechische Volk! Der Kompromiss, der zwischen Athen und seinen Gläubigern zur finanziellen Rettung gefunden wurde, verurteilt das Land, weiterhin in der Rezession zu verbleiben, ohne Wachstumsperspektive, denn dieser Hilfsplan sieht nicht den geringsten Investitionsplan vor. Im Gegenteil, die Gegenleistung, die von Griechenland für diesen Hilfsplan von 85 Milliarden Euro verlangt wird, befindet sich schlicht in der Kontinuität der Austeritätsmaßnahmen, die Griechenland seit einigen Jahren ersticken, ohne dass diese in Frage gestellt werden können. Einmal mehr wird es das griechische Volk sein, das den Kopf hinhalten muss, indem es ein Strafprogramm über sich ergehen lassen muss. Der EGB ist sich sicher, dass der gefundene Kompromiss von begrenzter Dauer sein wird, und dass die gleichen Diskussionen in spätestens zwei Jahren wieder aufkommen werden.

Die angekündigte Volksabstimmung über einen möglichen Brexit
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Der britische Premierminister David Cameron wird in Kürze seine Verhandlungen beginnen, mit Blick auf seine Volksabstimmung über einen möglichen Brexit. In diesem Zusammenhang wird David Cameron versuchen, seine Bedingungen durchzusetzen, um zu verhandeln welche Position er im Endeffekt im Rahmen der Volksabstimmung vertreten wird. Laut der britischen Gewerkschaftsbewegung wird er demnächst die Liste der britischen Beschwerden gegenüber der EU einreichen. Die britische Gewerkschaft TUC befürchtet, dass wenn die sozialen Rechte noch weiter beschnitten werden, die Abstimmung zugunsten des Brexit noch stärker ausfallen wird. Man darf hier auch nicht die sehr schädlichen Diskussionen über die Einwanderung vergessen, die zurzeit im Vereinigten Königreich am Laufen sind. Diese schüren förmlich eine anti-europäische Stimmung. Ebenso, was die berüchtigten „agency-contracts“ betrifft, die hauptsächlich an Einwanderer vergeben werden, und die nichts anderes bieten, als unsichere Arbeitsplätze. David Cameron wünscht sich eine Freihandelszone ohne soziale Rechte. Die Gefahr besteht, dass er von anderen Mitgliedstaaten unterstützt werden wird, die aus der EU eine reine Wirtschaftszone machen wollen.

Der luxemburgische Premierminister hat versichert, dass er eine rote Linie bestimmt hat, über die David Cameron nicht hinausgehen kann. Die Freie Bewegung der Arbeitnehmer ist eine solche Linie, die David Cameron nicht wird überschreiten können, ebenso wie die sozialen Fortschritte. Was die Direktive über die Entsendung betrifft, so hat der Arbeitsminister Nicolas Schmit betont, dass das Vereinigte Königreich nicht mehr Ausnahmeregelungen bekommen wird, wie es sie schon hat (die Möglichkeit des Opt-Out besteht). Nicolas Schmit hat unterstrichen, dass die europäischen Sozialrechte gestärkt werden müssen, und dass man nicht, im Rahmen eines „sozialen Triple A“ Ausnahmen für ein einziges Land machen kann. Es wird auch keine europäische Gesetzesänderung zu Gunsten eines einzigen Landes geben.

Der Bericht der fünf Präsidenten

Der EGB hat seine Bedenken bezüglich des erklärten Willens, auf europäischer Ebene eine unabhängige Kompetitivitätsautorität einzuführen, deren Aufgabe es wäre, Ratschläge zu den Löhnen zu geben, ohne sich dabei vorher mit den Sozialpartnern beraten zu haben. Hier besteht die Gefahr, dass es zu einer Reihe von zusätzlichen Empfehlungen zu den Gehältern kommen wird, und zu einer Einmischung in die Autonomie der Sozialpartner.

Das Mobilitätspaket

Der EGB bestand darauf die Prinzipien in Erinnerung zu rufen, die es im Rahmen der Arbeitnehmerrechte gibt sowie das Prinzip einer Freizügigkeit für alle, ohne dabei die Hindernisse zu vergessen, die es für die mobilen Arbeitnehmer gibt…

Das REFIT

Der EGB hat seine Meinung zum REFIT und zum Programm „Bessere Rechtsetzung“ der Europäischen Kommission erneut ausgedrückt. Jede Reglementierung kann nicht automatisch als Hindernis für die Unternehmen und für die Kompetitivität angesehen werden.
Arbeitsminister Nicolas Schmit bezweifelt, ob die Europäische Kommission die Machtbefugnis hat, Texte, die vom Europäischen Rat sowie vom Europaparlament gestimmt und gutgeheißen wurden, einfach zu ignorieren. Der Minister fragt sich ebenfalls, was der Zweck einer solchen Tat wohl wäre.

Das TTIP

visite_segol_3Der EGB hat ebenfalls an seine rote Linie im Rahmen der TTIP-Verhandlungen erinnert (Nachhaltigkeit sowie Tragbarkeit, Sozialkapitel, klarer Ausschluss der Öffentlichen Dienste, Widerstand zu einem Kapitel über das ISDS) Bezüglich des Berichts des Europäischen Parlaments über das TTIP, das kürzlich in einer Plenarsitzung angenommen wurde: wenn dieser Bericht auch dem vorgeschlagenen Abkommen beträchtliche Besserungen bringt (die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation, wie das Recht, einer Gewerkschaft anzugehören, müssen im TTIP inbegriffen und anwendbar sein; die den Regeln entsprechende Kooperation garantiert die höchsten Gesundheitsschutz- und Sicherheitsschutzmaßnahmen, und das entsprechend dem Vorsichtsprinzip). Der Kompromiss, der bezüglich des ISDS-Mechanismus gefunden wurde, bleibt schließlich identisch. Er taucht nur unter einer anderen Form auf. Der EGB stellt sich auch Fragen zu den Folgen des Abkommens. Einmal umgesetzt, was werden dessen Tugenden sein und wem werden sie zugutekommen?
Der Premierminister hat an Luxemburgs Stellung gegenüber dem TTIP erinnert: Es kommt nicht in Frage, die bestehenden Errungenschaften im sozialen Bereich, im Umwelt-, im Ernährungs- und im Justizbereich auszuverkaufen (ISDS). Er ist jedoch der Meinung, dass der Kompromiss bezüglich des ISDS, der im EP gefunden wurde, eine gute Basis darstellt, um eine Reform dieses angeprangerten Mechanismus anzugehen.

Die digitale Agenda

Es handelt sich hierbei um ein prestigeträchtiges Thema des EGB, im Hinblick auf die Konsequenzen und die umfangreichen Änderungen, die durch das digitale Zeitalter in der Arbeitswelt hervorgerufen werden, auf die Arbeitsbedingungen und auf die Datenkontrollen. Die digitale Agenda wird große Änderungen herbeiführen und wird in Zukunft bedeutende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben.

Mitgeteilt vom OGBL
am 17. Juli 2015