Leitartikel

Arbeit darf nicht arm machen!

André Roeltgen, OGBL-Generalsekretär
André Roeltgen, OGBL-Generalsekretär

Laut STATEC fällt fast die Hälfte der Bevölkerung Luxemburgs unter die Armutsschwelle. 257.000 Menschen sind betroffen. Dank der staatlichen Sozialtransfers senkt sich diese Zahl auf 83.000. Besonders alarmierend ist dabei die Tatsache, dass im Verlauf der letzten 8 Jahre, das Armutsrisiko nach Sozialtransfers durchschnittlich um +2,7% pro Jahr angestiegen ist! Das ist jährlich ein Plus von 15.000 Menschen!

Die Armut im reichen Luxemburg schreitet voran! Und es trifft immer mehr Menschen, die einer normalen Erwerbstätigkeit nachgehen. Der Grund hierfür ist einfach: der gesetzliche Mindestlohn liegt unter der Armutsschwelle!

Dass das Einkommen von sage und schreibe 45% der Bevölkerung nur noch durch den Einsatz abfedernder staatlicher Sozialleistungen über die Armutsschwelle gehoben werden kann, hindert weder die Patronatsverbände noch das Wirtschaftsministerium daran weiterhin zu behaupten, dass die Löhne in Luxemburg zu hoch seien bzw. zu schnell anwachsen würden!

Von welcher Wettbewerbsfähigkeit reden sie eigentlich? Soll jenes Land in Europa zum Sieger gekürt werden, das den höchsten Stand an sozialer Armut produziert?

Der OGBL fordert die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns. Es ist ebenfalls an der Zeit, dass die Politik die Gleichbehandlung von Mann und Frau vor dem qualifizierten gesetzlichen Mindestlohn herstellt. Nur ein Beispiel zu diesem Thema. Warum wird der Reinigungstätigkeit, in der mehrheitlich Frauen arbeiten, weiterhin die Anerkennung des qualifizierten Mindestlohns nach 10-jähriger Berufstätigkeit verwehrt?

Sozialpolitisch fordert der OGBL, dass bei den Familienzulagen die Indexierung wieder eingeführt wird. Seit 2006, dem Jahr ihrer Desindexierung, haben die Familienzulagen und die Zulage beim Elternurlaub über 13% an Wert verloren. Seit seiner Einführung im Jahre 2009 hat der Kinderbonus ebenfalls an Wert verloren. Auch tut eine allgemeine Aufbesserung der Zulagen not, da sie seit langem nicht mehr  an die allgemeine Lohn- und Gehälterentwicklung angepasst wurden.

Armut an der Wurzel bekämpfen und insgesamt mehr soziale Gerechtigkeit schaffen setzen stets eines voraus: die Schieflage bei der wirtschaftlichen Verteilung zwischen Kapital und Arbeit so klein wie nur möglich zu halten.

Mit ihren ständigen Provokationen gegen den Index und gegen die kollektivvertraglich ausgehandelten Löhne und Arbeitsbedingungen trachten die Patronatsverbände danach, dem Salariat einen noch höheren Teil der Produktivitätsgewinne vorzuenthalten.

Der OGBL wird diesen Weg nicht mitgehen. Lohn- und Sozialdumping werden Europa nicht aus der Krise führen. Und was für Europa gilt, gilt auch für Luxemburg.

Die wirtschaftliche Zukunft des Standorts Luxemburg scheitert weder am Index noch an den in Luxemburg bezahlten Löhnen. Im Gegenteil. Bau, Bauhandwerk, Handel und viele andere Dienstleistungsbereiche sind allesamt auf eine kontinuierliche Lohn- und Einkommenspolitik der Bevölkerung Luxemburgs und der Großregion angewiesen.

Die Zukunft des luxemburgischen Banken- und Finanzplatzes hängt von sehr vielen Faktoren ab. Der Index und die kollektivvertraglichen Löhne zählen nicht zu diesen Faktoren.

Und was die Industrie anbelangt, hat vor kurzem die EU-Kommission Luxemburg eine hohe Arbeitsproduktivität  bescheinigt. Doch das verhindert nicht, dass die partikularen Profitinteressen der Mittal-Familie im Begriff sind, große Teile der europäischen Stahlindustrie, die Luxemburgs inbegriffen, kaputtzumachen.

Lakshmi Mittal sind nicht nur die Arbeitsplätze der Stahlbelegschaften egal. Ihm ist auch der Index egal. Er verfolgt andere Ziele. Wann begreift das endlich die FEDIL? Wann stoppt sie endlich das überflüssige, den sozialen Frieden im Land gefährdende  Sperrfeuer gegen die Löhne des Salariats und gegen die Einkommen der Bevölkerung? Wo bleibt der konsequente Kampf der Industriellenföderation für den Erhalt der luxemburgischen Stahlindustrie? Für den Standort Schifflingen. Für den Standort Rodingen. Und für all die anderen Betriebe und Arbeitsplätze, die von der Stahlaktivität abhängen. Und was macht ihrerseits die Regierung gegen die desaströse Strategie der Mittal-Familie? Der OGBL verlangt, dass alle luxemburgischen Stahlstandorte überleben. Mittal muss investieren!