Das Wort des Präsidenten

Es gibt Momente, die Gewerkschaftsgeschichte schreiben

André Roeltgen, Präsident des OGBL
André Roeltgen, Präsident des OGBL

Es können Erfolge, aber auch Niederlagen sein. Und weil diese Momente meistens der Abschluss und das Ergebnis eines langwierigen und intensiven gewerkschaftlichen Einsatzes sind, sind es Momente, die nicht nur starke Emotionen auslösen, sondern ebenfalls die Gewerkschaft zur Einkehr auffordern, sie dazu aufrufen, einen Pausenschnitt für den Zweck der Analyse des Geschehenen zu machen. Der erfolgreiche Abschluss der Kollektivvertragsverhandlungen im Gesundheits-und Sozialwesen sind für den OGBL ein solcher historischer Moment. Und das in vielerlei Hinsicht.

Die Aufwertung der Laufbahnen der Sozial- und Gesundheitsberufler ist die Verwirklichung einer fast 40-jährigen Forderung unserer Gewerkschaft gegen die finanzielle Unterbewertung dieser Berufe. Diese Aufwertung ist nicht nur Synonym für die längst fällige gesellschaftliche Anerkennung dieser Berufe. Sie ist gleichzeitig ein Meilenstein für die Gleichberechtigung der Berufsarbeit der Frauen. Über 80% der Arbeitstätigen im luxemburgischen Gesundheits- und Sozialwesen sind Frauen.
Der Tariferfolg ist darüber hinaus das Produkt einer jahrzehntelangen kontinuierlichen Vertragspolitik des OGBL. Es gab viele wichtige Zwischenetappen und viele Hürden mussten überwunden werden.

Die Überwindung der organisatorischen Zersplitterung des Personals war von besonderer Bedeutung. Die Gewerkschaft setzte sich gegen den wirkungslosen beruflichen Korporatismus durch. Dieser spielt heute keine Rolle mehr. Der konsequente Aufbau einer vernetzten Betriebsarbeit mit hunderten demokratisch gewählten OGBL-Personaldelegierten war eine weitere Voraussetzung für den Aufbau der schlagkräftigen solidarischen Interessenswahrnehmung und Mobilisierungsfähigkeit des gesamten Personals. Die Mitgliedschaft im OGBL ging stets nach oben, überproportional gegenüber der Gesamtentwicklung der Personalstärke. Die Resultate der einzelnen Sozialwahlen widerspiegelten diese Entwicklung. Die gewerkschaftliche Einheit des Personals trat an die Stelle des unproduktiven gewerkschaftlichen “Pluralismus”.

Ohne diese Entwicklungen hätte es weder die 9.000 Demonstranten am 4. Juni 2016 in Luxemburg/Stadt noch die Streikfähigkeit im Vorsommer dieses Jahres gegeben. Voraussetzung dafür waren ebenfalls die einzelnen tarifpolitischen Bausteine, die Abfolge der einzelnen Kollektivverträge, die der OGBL in den letzten 30 Jahren für das gesamte Personal durchsetzen konnte. Oft waren es Konfliktverhandlungen, die starke Mobilisierungskampagnen und Demonstrationen des Personals notwendig machten und das gewerkschaftliche Bewusstsein stärkten.

Die Kollektivverträge, die der OGBL durchgesetzt hat, sind in Bezug auf ihre gesellschaftliche Bedeutung mehr als einzig und allein die Verbesserung der Lohn- und  Arbeitsbedingungen des direkt betroffenen Salariats.

Sie sind die Triebkraft für die allgemeine Attraktivität für das Erlernen und das Ergreifen der Gesundheits- und Sozialberufe. Diese Kollektivverträge sind untrennbar mit einem fortschrittlichen und einem qualitativ hochwertigen öffentlichen Sozial- und Gesundheitswesen im Dienst der Bürger Luxemburgs verbunden. Die Attraktivität dieser Berufe als auch ihre qualifizierte Ausübung müssen immer wieder in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Luxemburgs abgesichert werden. Hierin liegt auch der Stellenwert der jetzt ausgehandelten Verträge. Hierin liegt auch ihr Stellenwert im Rahmen der öffentlichen Dienstleistungen Luxemburgs.

Und dieser Punkt verweist auch auf die besondere politische Verantwortung, die mit ihnen verbunden ist. Deshalb ist es noch einmal wichtig zu unterstreichen, dass die aktuelle Regierung im Interesse des luxemburgischen Gesundheit- und Sozialwesens die wichtige Abmachung vom 28. November 2014 über den gleichwertigen Stellenwert der Kollektivverträge im Vergleich zu Gehälterabkommen bzw. –gesetzen des öffentlichen Diensts respektiert und eingelöst hat.

Der OGBL wird seine Gesundheits- und Sozialpolitik im Allgemeinen und seine Tarifpolitik im besonderen für ein humanes und qualitativ hochwertiges Gesundheits- und Sozialwesen fortsetzen. Und er ruft alle Arbeitstätige des Gesundheits- und Sozialwesens, die noch nicht Mitglied im OGBL sind, zum Beitritt auf. Es muss immer wieder daran erinnert werden, dass Kollektivvertragsverhandlungen wie diese, nicht nur ein sehr hohes Engagement von unseren ehrenamtlichen Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftler abverlangen, sondern ebenfalls mit hohen materiellen und Personalkosten verbunden sind, die der OGBL dafür einsetzt. Dafür ist die Gewerkschaft da. Das ist ihr Sinn. Dafür leistet man seinen solidarischen monatlichen Beitrag als Mitglied im OGBL. Der Dank richtet sich deshalb an unsere über 70.000 Mitglieder, die wissen, dass sie mit ihrem Beitrag, diesmal im Gesundheits- und Sozialwesen, und morgen im Bau und Handwerk, oder im Banken- und Finanzbereich, in der Industrie, im Handel, im Transport oder in vielen anderen Dienstleistungsbereichen solidarisch die tarifpoltischen Forderungen und Interessen des Salariats stärken und verwirklichen helfen.